Weihnachtsgruß des Deutschen Musikautomaten-Museums 2022
Von Villingen nach San Francisco….
Mit der Auslieferung eines Orchestrions nach San Francisco wanderte der 1849 geborene Villinger Felix Fridolin Schönstein 1868 in die USA aus. Auch einer seiner Brüder folgte ihm später als Orchetrionbauer.1925 verfasste er seine Familien- und Lebensgeschichte, die hier erzählt werden soll. Seine von ihm 1877 gegründete Orgelbauwerkstatt besteht als „Schoenstein & Co Pipe Organs“ bis heute und ist weiterhin eine der führenden Orgelbau-Firmen in den USA. Deren Geschäftsleitung stellte auch die hier verwendeten historischen Bilder zur Verfügung. Hören Sie in seine Lebensgeschichte hinein.
Von Villingen nach San Francisco
Arbeitsmigration, Fachkräftemangel, dies sind Themen, die selbst in der Vorweihnachtszeit nicht an Bedeutung in den deutschen Medien mit Meldungen aus Politik, Industrie, Handwerk oder dem Dienstleistungssektor verlieren. Schon seit geraumer Zeit wurde deutlich, dass ohne eine Zuwanderung in Deutschland sich diese Problematik sicher weiter zuspitzt. Aber im Umkehrschluss in historischer Dimension kann man erkennen, dass etwa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Menschen oder Familien aus Deutschland ihre Heimat verließen, um sich ökonomisch wie selbst zu verwirklichen. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte der Familie Schönstein aus Villingen, die Orchestrien baute und in einer Medienstation des Deutschen Musikautomaten-Museums (DMM) im Schloss Bruchsal thematisiert wird.
Mit der Auslieferung eines Orchestrions nach San Francisco wanderte 1868 der 1849 geborene Villinger Felix Fridolin Schönstein aus Baden in die USA aus. Auch mit dem Gedanken, so den Militärdienst in seiner Heimat zu entgehen. Auch einer seiner Brüder folgte ihm später als Orchestrionbauer.1925/26 verfasste der einst 19jährige Auswanderer seine Familien- und Lebensgeschichte, die hier erzählt werden soll. Deren Übersetzung in die deutsche Sprache besorgte der Villinger Ortschronist Josef Honold, die in Auszügen Grundlage für ein Hörspiel wurde, das Manfred Rieger vom Bruchsaler Amateurtheater „Koralle“ für das DMM einsprach. Felix Fridolin Schönsteins 1877 gegründete Orgelbauwerkstatt besteht als „Schoenstein & Co Pipe Organs“ bis heute und ist weiterhin eine der führenden Orgelbau-Firmen in den USA. Deren Geschäftsleitung unter Jack M. Bethards stellte dem DMM auch historisches Bildmaterial zur Verfügung, welches die Biographie von Felix Fridolin Schönstein illustriert, deren Hörfassung hier abgerufen werden kann.
Doch dazu noch einige Angaben zum Bau von Musikwerken im Schwarzwald generell, um den wirtschaftlichen Hintergrund dieser Branche im späten 19. Jahrhundert zu skizzieren: Waren Orchestrien anfangs eher Einzelaufträge, wandelte sich dies bald in eine serielle Produktion mit vielen Beteiligten. Tischler fertigten Gehäuse, Orgelbauer Bälge und Holzpfeifen, Klavierbauer Saitenrahmen. Metallteile wie Laufwerke oder Trompetenbecher lieferten weitere Fachleute. Zunächst blieb der Kreis der Hersteller wegen der Komplexität der Technik klein. Der Kundenkreis beschränkte sich anfangs auf Hochadel und reiche Fabrikanten. Um 1890 wurden durch Münzeinwurf die zunehmend standardisierten Modelle für Etablissements aller Art attraktiv. Dies auch vor dem Hintergrund, dass erstmals die Reallöhne stiegen und auch für Arbeiter mit der Festlegung auf die 60-Wochenstunde so etwas wie „Freizeit“ möglich wurde, die man z.B. in Kneipe oder Gasthaus verbringen konnte. Doch Firmen aus Leipzig, Klingenthal /Vogtland oder den USA bildeten eine starke Konkurrenz. Aber schon seit den 1880er Jahren setzten Lochplattenspielgeräte aus Sachsen, konkurrierende Firmen aus Frankreich und den USA, Phonograph und Grammophon den badischen Musikwerke-Herstellern zu – ebenso das für den Produzenten unvorteilhafte Teilzahlungsmodell beim Verkauf der Geräte. Aber auch der Verlauf der Eisenbahn spielte eine Rolle. So schwand etwa die einstige Stellung von Unterkirnach als Produktionsstandort, als der Bau der „Schwarzwaldbahn“ (1863-1873) an dem Ort vorbeiführte. Schon um 1900 zeichnete sich ein Ende des Musikwerkebaus ab. Die von vielen Kunden erwartete Umstellung von der bestifteten Holzwalze auf Kartonnotenband oder pneumatische Betriebssysteme konnten gerade Kleinbetriebe nicht leisten. Alternativ sattelte man oft auf Produkte der Feinmechanik sowie auf die aufkommende Elektroinstallation um. Der Erste Weltkrieg und die Wirtschaftskrise – vor allem aber das Radio – zwangen verbliebene Hersteller in die Knie, die sich noch einige Zeit mit Wartungsaufträgen ihrer bereits ausgelieferten Geräte über Wasser halten konnten.
Der Protagonist dieses Hörspiels, Felix Fridolin Schönstein, war der Sohn des Villinger Uhrmachers Leo Schönstein und dessen Frau Rosa. Von den fünf erwachsenen Söhnen wurden alle im Musikwerkebau tätig. Die älteren Brüder von Felix Fridolin Schönstein, Lukas und Karl, gingen 1852 bei der bekannten Werkstatt Blessing in Unterkirnach in die Lehre. Auch die anderen Brüder Ferdinand Berthold und Erwin absolvierten eine vergleichbare Ausbildung.
1862 gründete Lukas Schönstein seine eigene Werkstatt in Villingen, wo der jüngste der Brüder, Felix Fridolin Schönstein, in die Lehre ging. 1868 lieferte die Werkstatt ein Orchestrion an einen „J. Wittmeier“ in San Francisco, der dort als erster in seiner Wirtschaft Flaschenbier einführte. Felix Fridolin Schönstein begleitete diese Auslieferung. Zunächst versuchte er in den USA im Orgelbau unterzukommen. Mit seinem Bruder Ferdinand Berthold, der ihm wenig später nachgefolgt war, baute er dann Orchestrien bzw. man vertrat die heimische Werkstatt in Villingen. Die Brüder Erwin und Karl dagegen waren nach Odessa gegangen. Dies war damals eine wirtschaftlich prosperierende Stadt des zaristischen Russlands mit einer beachtenswerten Zuwanderung von deutschen Handwerkern und „Start-Up-Unternehmern“ vor der erst nach der Reichsgründung 1871 langsam boomenden „Hochindustrialisierung“ ihrer Heimat. Der eine der Brüder begründete dort eine eigene Werkstatt, der andere agierte als Vertreter der Schwarzwälder Firmen Blessing und Schönstein. Doch der Bau der Orchestrien mit bestifteten Holzwalzen zeigte sich bald als technisch überlebt. Felix Fridolin Schönstein hatte in der Firma seines Bruders Ferdinand Berthold in Kalifornien mit an rund 20 Orchestrien mitgebaut. Doch er entschied sich dann, mit dem wirtschaftlich eher sicheren konventionellen Orgelbau zu befassen und gründete 1877 seine erste Werkstatt. Den Betrieb seines Bruders Lukas Schönstein in Villingen ereilte 1895 der Konkurs. Dessen Sohn Gustav Schönstein, ebenfalls ein gelernter Orchestrionbauer, verlegte sich noch als „Spezialfabrik“ auf die „Anfertigung von Bestandteilen für Orgeln und Musikwerke“: Pfeifen in Holz und Metall, Xylophone, Stiftwalzen (deren Neufertigung und Aufarbeitung), aber empfahl sich auch für Münzeinwurfkästen.
Felix Fridolins Memoiren sind im heutigen Sinne als ein „Zeitzeugenbericht“ zu verstehen, die die Geschichte des Baus von Musikwerken in Baden „lebhaft“ machen.
Andreas Seim