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Weihnachtsgruß des Deutschen Musikautomaten-Museums

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum

Weihnachtsbaumständer „Gloriosa“ im DMM, Film: Klaus Biber
 

Der geschmückte Weihnachtsbaum bedarf einer Standhalterung. Den Stress und die Dramen am Heiligabend, den Baum sicher zum Stehen zu bringen, kennen wohl viele. Einfache Holzkreuze mit einem Loch in der Mitte, in das der Stamm eines Baumes eingenagelt werden konnten, bildeten die erste Variante. Eisengusswerke stellten dann ab dem späten 19. bis weit in das 20. Jhd. Weihnachtsbaumständer in verschiedener Gestalt mit jeweils zeitaktuellem Schmuckdekor für verschiedene Baumgrößen seriell her: z. B. die „Holler’sche Carlshütte“ in Rendsburg, „L. Meyer“ in Harzgerode, das „Alexanderwerk“ in Remscheid, die „Gießerei Rödinghausen“ in Menden/Ruhr oder die „Lüderswerke“ in Wernigerode, deren Exemplare sich als Familienerbstücke noch in manchem Haushalt finden.

„Tannenbaumfüße“ der Carlshütte Rendsburg, 1930er Jahre

Dies verdeutlicht die Verbreitung des Aufstellens des Weihnachtsbaumes mit dem Wachsen einer bürgerlichen Mittelschicht bzw. der Bevölkerung allgemein sowie einen für nicht wenige Familien sich hebenden Lebensstandard im wilhelminischen Deutschland. Eine Variante des Weihnachtsbaumständers ist jener mit einem integrierten Spielwerk und einem Drehmechanismus für den Baum. Solche damals kostspieligen Objekte wurden z. B.  von der 1873 gegründeten Firma „J. C. Eckhardt“ als Hersteller von mess- und regeltechnischen Geräten in Stuttgart gefertigt, die 1877 ein Patent auf „einen Mechanismus zum Drehen des Weihnachtsbaums und anderer Gegenstände“ angemeldet hatte.

Annonce von J. C. Eckhardt, um 1898

Inventar- Nummer 88/121
Das DMM besitzt ein solches Exemplar mit dem Produktnamen „Gloriosa“ mit einem zugelieferten Musikwerk der Firma Kalliope aus Leipzig aus den 1890er Jahren. Gefertigt ist das Gehäuse, das auch als Resonanzkörper dient, aus Nussbaumholz und ist mit dekorativen Bronzebeschlägen versehen. Durch ein Federzugwerk mit Kurbel werden eine mechanische Abtastung und eine kleine Lochplatte in Gang gesetzt, die 36 Stahlzungen zum Klingen bringen. Ein Konvolut von sieben Lochplatten, die auf diesem Gerät abgespielt werden können, können "Grosser Gott wir loben dich", "Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen", "Ihr Kinderlein kommet", "Alle Jahre wieder kehrt das Christkindlein", "Stille Nacht, heilige Nacht", "O du Fröhliche" intonieren, aber auch das studentische Lied "Gaudeamus Igitur". Letztere Melodie verdeutlicht, dass dieses mechanische Musikinstrument nicht nur als Weihnachtsbaumständer vermarktet wurde, sondern alternativ als Hilfsmittel für sich drehende Tafelaufsätze oder Blumenbouquets außerhalb der Weihnachtszeit. Die auf den sich drehenden Mitteldorn aufgesteckte Stammhalterung konnte durch einen Schalenaufsatz getauscht werden. Es war somit eher für den großbürgerlichen Gebrauch konzipiert worden, wo etwa „Diners“ oder „Gesellschaften“ gegeben wurden. Aber auch für Hotels oder Restaurants gedacht. Die Firma erweiterte so die Funktion des Baumständers, um die Spieldose ganzjährig nutzbar zu machen. Infolgedessen vergrößerte sich das Repertoire der dazu erhältlichen Lieder und die Nachfrage stieg: 1889 stellte J.C. Eckardt 13.000 Stück her, 1902 bereits 60.000 und 1911 verkauften sich 100.000 von „Gloriosa“. Dabei hilfreich waren sicher die Rabatte, die von der Firma „Wiederverkäufern“ gewährt wurden. (Preis laut Katalog von 1898 51 Mark pro Gerät und pro Lochscheibe 42 Pfennig) Dies sicher auch über das wilhelminische Deutschland hinaus.

Tafelausätze für „Gloriosa“. In der Form von Etageren und aufgesetzten Glasvasen, um 1898
Das Vorgängermodell der Stuttgarter Firma Eckhardt aus der Zeit 1890/00 war dieses mit zwei Musikwerken aus der Schweiz. Diese mit je zwei Melodien in seinem Inneren zwischen der Abdeckung aus pressgeformtem Blech und hölzerner Grundplatte. Durch die beiden metallenen Stiftwalzen, die die Stahlzungen der unterschiedlichen Musikwerke mittels Kurbel und Federzugwerk zum Klingen brachten, waren die Musikstücke hier nicht austauschbar wie bei den externen Lochplatten. Doch dies Modell besaß Patente für „Deutschland, Österreich, England, Amerika“. DMM, Inv. Nr. 87/114

Eine alte Ikone?
Seit Jahren gibt es Sammler historischer Weihnachtsbaumständer. Deren begehrte Stücke wurden zwischen 1870 und den 1930er Jahren hergestellt, womit klar wird, dass die Tradition des Weihnachtsbaums als Breitenphänomen noch nicht so alt sein kann. Weihnachten ist – noch vor dem Oktoberfest – wohl der größte kulturelle deutsche Exportschlager. Und seine Ikone bzw. Symbol ist der Weihnachtsbaum. Schon Wochen vor dem Ersten Advent quellen die Verkaufsflächen von Anbietern für Wohndekoration und Kunsthandwerk über mit Artikeln zu seinem Schmuck. Kein Weihnachtsmarkt, keine Kirche oder öffentliche Einrichtung, die auf ihn verzichten mag. In Schaufenstern und in Shopping-Malls leuchtet er einem entgegen. Seine Präsenz im familiären Bereich muss kaum erwähnt werden. Er erscheint als die Konstante des kirchlichen Festes (wobei sich Kirchenaustritte mehren) und des Kommerzes darum. Und viele meinen, der Weihnachtsbaum sei ein „Ur-Gewächs“. Doch dies ist zu relativieren. Zwar gibt es eine Reihe von frühen Belegen, die den Tannenbaum als Schmuck für das Weihnachtsfest vermelden. Etwa, dass um 1600 im Elsass geschnittene Tannenzweige zum Jahreswechsel ins Haus geholt wurden. Auch ganze geschmückte Bäume erschienen teils in den Stuben Straßburgs. Ebenso soll für die einstige Reichsstadt Gengenbach ein Weihnachtsbaum in der Ratsstube 1576 verbürgt sein. Dies lässt gar darauf schließen, dass der Weihnachtsbaum „alemannische“ Wurzeln hat. Aber er wurde damals eher als „lutherisch“ gesehen. Dies korrespondiert weitgehend mit dem frühen Reformationsgeschehen in den beiden genannten Städten. Das katholische Element des weihnachtlichen Schmuckes war eher die „Krippe“, die ein narratives Figurenschauspiel war und die Geburt Jesu „erzählte“. Der „grüne“ Weihnachtsbaum dagegen war eher ein Symbol der „Wiederkehr“. Daraus mag sich die in historisch eher protestantisch geprägten Regionen vorherrschende Bezeichnung „Christbaum“ herleiten.

Varianten
Die genannten Beispiele mögen eine Wurzel des heutigen Weihnachtsbaums sein. Denn es gibt weitere traditionelle Dekorationselemente, die die Adventszeit und das Weihnachtsfest bzw. „Christfest“ gerade noch im 19. Jhd. begleiteten: z. B. das „Paradiesgärtlein“. Eine „umzäunte“ Grundplatte nicht nur mit Figuren aus regionaler Flora und Fauna (aus Holz, Keramik oder Metall) besetzt, denn in Tüllen konnte „grünes“ Material, etwa Tannenzweige oder schon deren kleine Bäumchen, eingesteckt werden. Der 24. Dezember bildete bis zum II. Vatikanischen Konzil (1962-1965) auch den liturgischen Gedenktag an Adam und Eva.
Aus dem sächsisch-erzgebirgischen Raum stammt der mit weihnachtlichen Figuren gestaltete und mit Lichtern besetzte „Schwibbogen“. Vergleichbar ist im alpinen Raum ein Bogen von gebundenem Tannengrün. In Sachsen gibt es ebenso die „Leuchterspinne“, einen mehrarmigen Kerzenlüster, reich dekoriert mit Glaselementen, der von der Decke herabhängt. Damit in Verbindung stehen wohl einst geschmückte Tannenbäumchen, die, an der Decke befestigt, herabhingen. Wahlweise mit der Baumspitze oben oder umgekehrt mit dem Stammende nach oben. Dies ist z. B. aus Thüringen bekannt. Der „Jöölboom“ („Jööl“ friesisch: Weihnachten) ist in Nordfriesland und in Teilen Schleswig-Holsteins eine weitere Variante, auch „Sylter Friesenbaum“ oder „Föhrer Bogen“ genannt. Ein kleines Holzgestell, in das grüne Zweige eingebunden werden, und das mit weihnachtlichen Figuren ausgeschmückt wird. Das in Deutschland ebenso beheimatete achttägige jüdische Chanukka- bzw. Lichterfest, das an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem erinnern soll, kann hier eingereiht werden - mit der gestaffelten Entzündung von Lichtern auf einem neunarmigen Leuchter im November/Dezember. Jenes erinnert an den Adventskranz, der 1839 vom norddeutschen evangelischen Theologen, Erzieher und Mitbegründer der Inneren Mission wie Diakonie Johann Hinrich Wichern eingeführt wurde, um Waisenhauskindern die Weihnachtszeit zu verdeutlichen.
Diese Beispiele skizzieren, dass geschmückte Bäume zur Weihnachtszeit zunächst eher selten waren bzw. erst eine beginnende Forstwirtschaft im 19. Jhd. mit Tannen- und Fichtenkulturen einen steigenden Bedarf – im Preis moderat – decken konnte.

Siegeszug
Der heutige Weihnachtsbaum hatte zunächst eher einen bürgerlich-adeligen Hintergrund: Goethe erwähnte ihn 1774 in seinen „Leiden des jungen Werthers“ als Schmuck in der Familie von dessen angebeteten Lotte. 1805 beschrieb ihn Johann Peter Hebel in „Die Mutter am Christabend“ in seinen „Alemannischen Gedichten“. 1815 stellte in Weimar Wilhelm Hoffmann für arme Kinder den ersten öffentlichen Weihnachtsbaum auf. Und E. T. A. Hoffmanns „Nussknacker und Mausekönig“ (1816), in dem der Tannenbaum in der Mitte der Bescherung steht, ist ein Hinweis aus Berlin. Auch bei diesen Beispielen schimmert der protestantische Gesellschaftshintergrund durch. 1824 gab ihm der Leipziger Lehrer Ernst Anschütz mit dem Lied „Oh Tannenbaum“ eine musikalische Gestalt. Neben der bloßen Melodie-Adaption fand das Lied in der Übersetzung in vielen Ländern Aufnahme. Der Weihnachtsbaum wurde bald Kern des bürgerlichen Familienfestes, auch im katholischen Bereich, und verdrängte andere traditionelle weihnachtliche Schmuckformen bzw. stellte diese in der allgemeinen Wahrnehmung in die zweite Reihe.
Von Deutschland aus eroberte der Weihnachtsbaum die Welt. Der aus Bayern stammende König Otto, der, im nach der Abspaltung vom osmanischen Reich neu entstandenen Griechenland, als Herrscher installiert wurde, ließ 1833 öffentlich zwei Weihnachtsbäume in Athen und Nauplion aufstellen. Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, Gatte von Queen Victoria, initiierte 1840 den „Christmas Tree“ im Britischen Empire. Und aufgrund der deutschen Wurzeln vieler Einwanderer in den USA wurde er ebenso dort verbreitet. Seit 1891 gibt es so einen Weihnachtsbaum vor dem Weißen Haus in Washington. Die „Entzündung“ des Baumes am Rockefeller Center in New York gelangt als kulturelle „Rückkoppelung“ seit Jahren auch in deutsche Nachrichtensendungen.

Vereinnahmung
Doch die Geschichte des deutschen Weihnachtsbaums ist ebenso mit den kriegerischen Konflikten des Wilhelminischen Kaiserreiches und des Dritten Reiches verbunden. Am Ende des deutsch-französischen Kriegs 1871 feierte der spätere deutsche Kaiser Wilhelm I. protestantischer Prägung in Versailles unter einem geschmückten Baum Weihnachten und sandte seinen Soldaten kleine Fichten. Im Ersten Weltkrieg – wie später im Zweiten Weltkrieg - leuchteten sogar in den Schützengräben Weihnachtsbäumchen. Diese waren nicht nur auf deutscher Seite emotionale Anker zu Heimat und Familie. Im Nationalsozialismus sollte er gerade die eher katholisch geprägte Krippe verdrängen. Er stand hier zwischen Säkularisierung und politischer „Sakralisierung“, die mit der „Volksweihnacht“ den „Führer“ als neuen Messias ins Auge fasste. Anstelle des Sterns von Bethlehem krönte den Baum oft nun offiziell das Hakenkreuz. In der Zeit des westdeutschen Wirtschaftswunders wurde der zelebrierte Konsum der Geschenke unter dem Weihnachtsbaum indirekt zum Gradmesser der „Konjunktur“. Und selbst die formell atheistische DDR konnte auf „Jahresendzeit-Schmuck“ bzw. den Weihnachtsbaum nicht verzichten, da auch hier alte bürgerliche Kulturstrukturen weiter tragend blieben.

Patriotische Weihnachtspostkarte, Deutschland 1914

Baum der Verwandlung
Der Weihnachtsbaum wurde so immer mit unterschiedlichen Emotionen und Ideen aufgeladen oder vereinnahmt. Aber trotz Säkularisierung und Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes in den vergangenen Jahrzehnten liebt man ihn in Deutschland. (2006 sollen 616 Millionen Euro für 28 Millionen „lebende“ Weihnachtsbäume ausgegeben worden sein, statistisch 22 Euro pro Baum). Aber auch bei Familien und Geschäftsleuten mit Migrationshintergrund führt er ein Leben. Und dies nicht nur bei solchen mit christlichen Wurzeln. „Die Rheinpfalz“ vom 15. Dezember 2017 berichtete von zwei türkischen Gastronomen aus Grünstadt, die ihre Lokale mit leuchtender Weihnachtsdekoration oder Weihnachtsbaum schmückten und teils ihre Wohnungen. Dies sahen jene nicht als religiöses Symbol, sondern als ein Lichtblick in einer grauen, schwermütigen Zeit. Sie fügten an, dass auch in der Türkei dieser Schmuck zum Jahreswechsel heute zu finden ist. Der Weihnachtsbaum ist einmal mehr ein interkulturelles Objekt. Es ist wohl das Licht, welches Menschen im Inneren emotional anspricht, fernab aller Interpretationen. Und dabei konnte er sich stets anpassen. Nicht nur etwa durch die unterschiedliche Größe der verwendeten diversen Sorten von Nadelbäumen. Erste künstliche Weihnachtsbäume erschienen zwar bereits nach 1900, in der Breite in der BRD aber erst ab den 1960er Jahren – oft gerne ein Produkt aus Fernost. Auch sei waren „grün“. Mittlerweile hat sich das Farbspektrum des Baumes erweitert: er ist golden, silbern, rot oder gar pink. Auch gibt es Interpretationen aus Holz, Metall, gar Glas in allen Größen. Wie sein Schmuck selbst, ob Behang oder Beleuchtung, folgt er der Zeitmode.
Der leuchtend-funkelnde Baum, so als Fazit der hier verkürzten Darstellung seiner Geschichte, war und ist somit ein Element, um politische, religiöse, soziale sowie nationale Differenzen zu überbrücken. Gerade aber auch um familiäre bzw. zwischenmenschliche Beziehungen zu zelebrieren. 
 
Andreas Seim
 
Empfehlung: Wer weitere Weihnachtsbaumständer entdecken will, der sei auf das „Christbaumständermuseum“ in Mühlacker-Lienzingen verwiesen. Erwachsen aus einer Privatsammlung, beherbergt es in der Dauerausstellung seit 2019 etwa 350 Exponate und verfügt insgesamt über rund 1.300 Objekte aus unterschiedlichen Epochen. Und dies unabhängig von der Weihnachtszeit.
https://muehlacker.de/stadt/bildung-freizeit/kulturelles-leben/christbaumstaendermuseum.php