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Beitrag des Städtischen Museums zum Internationalen Museumstag 2021

Liebe Leserinnen und Leser,
der Internationale Museumstag weist seit inzwischen mehr als 40 Jahren auf den Beitrag von Museen für das gesellschaftliche und vor allem kulturelle Leben hin und weicht 2021 erneut pandemiebedingt zu großen Teilen in den digitalen Raum aus. Das Motto des diesjährigen digitalen Internationalen Museumstags lautet „Museen inspirieren die Zukunft“ und passt damit wunderbar zu unserer Steinzeitabteilung im Städtischen Museum.
Gerade heute sind Themen wie Nachhaltigkeit und Selbstversorgung im Gespräch, wenn es darum geht, Umweltbelastungen und Naturschäden zu reduzieren. Bereits die Menschen der Steinzeit verfügten über teils erstaunliche Kenntnisse darin, sich von dem in der Natur Vorgefundenen zu ernähren und diese Nahrungsmittel zuzubereiten. Da das hauptsächliche Werkmaterial dieser Epoche sich in Form steinerner Relikte besonders gut erhalten hat, können wir heute anhand verschiedener Fundstellen teils sehr genaue Rückschlüsse darauf ziehen, wie sich die Steinzeitmenschen als Meister der Selbstversorgung in Abhängigkeit von ihrer natürlichen Umgebung ernährt haben. So zeigt beispielsweise der Unterkiefer aus Mauer bei Heidelberg, genannt homo heidelbergensis, dass diese etwa 600.000 Jahre alte Spezies der Altsteinzeit bereits regelmäßig und in recht großen Mengen Fleisch verzehrte, welches mit Hilfe von Steinklingen zerteilt wurde. Abnutzungsspuren auf dem Kieferknochen lassen vermuten, dass die Fleischstücke mit einer Hand und den Vorderzähnen festgehalten und mit einer Steinklinge in der anderen Hand in mehr oder weniger mundgerechte Stücke geschnitten wurden.

Kopie des Unterkiefers von homo heidelbergensis aus der Schausammlung des Städtischen Museums. Foto: Martin Heintzen

Zunächst durch die Pflege natürlich entstandener Feuer wie beispielsweise durch einen Blitzeinschlag, später auch durch von Menschen angelegte Feuerstellen, bestand die Möglichkeit, Fleisch und andere Nahrungsmittel zu garen, was sie leichter verträglich und ihre Umwandlung in Energie effizienter machte. Die Möglichkeit, Nahrung erhitzen und garen zu können, gilt daher als wichtiger Katalysator der menschlichen Evolution. Darüber hinaus konnten Lebensmittel wie Fleisch oder Fisch durch Räuchern konserviert und begrenzt gelagert werden, was vor allem zur Überbrückung beutearmer Zeiten relevant war. Konservierung war durch diese Abhängigkeit von Wetter, Vegetation oder Jagderfolg ein Thema permanenter Relevanz. Übrigens wurden erlegte Tiere vollständig verwertet, also dem heute wieder häufig diskutierten Prinzip des „nose to tail“ entsprechend. Fleisch und Fett wurden verzehrt, Fell und Sehnen dienten als Kleidung oder Schnüre, aus Knochen machte man Waffen, Werkzeuge oder Schmuck.  
Funde aus der Jungsteinzeit lassen uns ergänzend wissen, dass man sich das heute als Tauchsieder bekannte Prinzip zur Erhitzung von Flüssigkeiten zunutze machte. Die Steinzeitmenschen legten dafür eine Grube mit wasserdichtem Leder aus und brachten Wasser darin zum Kochen, in dem sie heiße Steine hineinlegten. Das Prinzip wird auch als „Grubenkochen“ bezeichnet. Versuche zeigen, dass sich so bis zu 10 Liter Wasser auf einmal zum Kochen bringen lassen. Später, ca. 6.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, wurden die Gruben durch Kochkeramik ersetzt, in der sich Speisen über Feuer schneller und einfacher zubereiten, aber auch verzehren ließen.

Foto: Martin Heintzen

Im Laufe der Sesshaftwerdung, die in unserer Region grob auf einen Zeitraum vor ca. 8.000 Jahren datiert wird, nahmen die Bewirtschaftung von Ackerflächen und die Viehzucht zu. Die Menschen mussten auf der Suche nach Nahrung nicht mehr umherziehen, sondern konnten sich an einem Ort niederlassen und diesen bewirtschaften. Der Aspekt der Nachhaltigkeit in der Steinzeit ist durchaus auch kritisch zu hinterfragen, wenn man bedenkt, dass schon damals für Ackerflächen und Siedlungen in großem Umfang Wälder gerodet wurden. Dies geschah häufig durch Brandrodung und barg schon damals die Gefahr erodierender Böden, die Regionen unter Umständen über Jahrhunderte hinweg unbewohnbar machten. Es kam also schon damals zu teils massiven Eingriffen in die natürliche Umwelt, die weit über die der auf Jagd und Sammeln spezialisierten Nomaden hinausging. Wälder wurden aber auch als Lieferant für Bauholz, Werkholz, Brennholz, Viehfutter (Laub und dünne Äste) oder Sammelpflanzen (Nüsse, Früchte) genutzt. Zu großen Teilen wurde auf den gerodeten Flächen aber auch Getreide angebaut, denn in der Jungsteinzeit galt Brot als Hauptnahrungsmittel. Im Vergleich zu den Fladenbroten früherer Kulturen hatte sich dieses stark weiterentwickelt. Nicht nur gab es nun verschiedene Sorten und Formen, sondern auch die Lockerung des Teiges durch Säuerung war bereits bekannt. Für uns heute kaum noch vorstellbar: Durch Abrieb der Malsteine, mit denen aus Getreide Mehl hergestellt wurde, lösten sich kleine Steinpartikel und landeten schließlich im Teig. Stabiles Zahnwerk war daher unabdingbar!
Ackerbau und Viehzucht ermöglichte der Bevölkerung der Jungsteinzeit nicht nur, sich dauerhaft niederzulassen, sondern auch größere Gruppen an Menschen zu versorgen. Die Populationen wuchsen und die ökonomische Ausrichtung damaliger Bewirtschaftung von Land und Viehbestand musste sich anpassen. Von der Verfügbarkeit von Nahrung bzw. deren Produktion hingen also letztendlich sogar gesellschaftliche und soziale Strukturen ab, die sich auch überregional bemerkbar machen, denn durch die stete Bevölkerungszunahme kam es immer wieder dazu, dass Menschen oder Gruppen weiterwanderten, um verfügbares Land und somit genug Nahrung zu finden. Siedlungsraum war dadurch schon in der Jungsteinzeit umkämpft.

Fotos Galerie: Martin Heintzen